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Aktuell

UN-Report zum Massen-Aussterben (2)

Weckruf für Politik und Wirtschaft

IPBES-Bericht am 06. Mai zu globalem Zustand der Natur und Biodiversität

WWF Pressemitteilung, 29.4.19

Ab dem 29. April tagt in Paris die siebte Vollversammlung des Weltbiodiversitätsrat (englisch: Intergovernmental Science-Policy Platform on Biodiversity and Ecosystem Services/IPBES). Das Treffen endet am 4. Mai mit der Genehmigung der ersten globalen Studie („Sachverstandsberichts“) über den Zustand der Natur und der Ökosysteme der Erde seit dem Millennium Ecosystem Assessment im Jahr 2005. Der Bericht wird dann schließlich am 6. Mai der Öffentlichkeit vorgestellt. Dazu Günter Mitlacher, Leiter Internationale Biodiversitätspolitik beim WWF Deutschland:

„In Paris steht Politik und Wirtschaft ein deutlicher Weckruf bevor. Wie schon der letzte Living Planet Report des WWF Ende 2018 wird auch der der IBPES-Bericht zeigen, dass der Raubbau an der Natur zu Lande und im Wasser rapide voranschreitet. Wir holzen zu viel Wald ab. Wir zerschneiden den Lebensraum von Pflanzen und Tieren mit Straßen, Schienen und Siedlungen. Wir planen Natur bei unserer Entwicklung nicht hinreichend mit ein. Wir überbeanspruchen Luft, Boden und Wasser. Wir drehen am Thermostat der Erde. Wir plündern die Weltmeere und müllen sie zu mit Plastik. Wir wildern, überfischen, beuten alles aus.

Damit sägen wir am Ast, auf dem wir sitzen. Der Mensch steht nicht über den ökologischen Netzwerken, sondern ist fest mit ihnen verwoben. Sie versorgen uns mit Nahrung, frischem Wasser, sauberer Luft und Energie. Gesunde und vielfältige ökologische Systeme sorgen für Bestäubung und die Ausbreitung von Samen. Sie dämmen Schädlinge und Krankheiten ein. Sie schützen unser Klima. Geschätzt erbringt die Natur mit ihrer Vielzahl an Lebewesen, ihrer Mannigfaltigkeit an Lebensräumen und ihrer genetischen Vielfalt eine ökonomische Wertschöpfung von rund 125 Billionen US-Dollar jährlich. Die menschengemachte Klima- und Ökokrise wird uns mehr kosten als jede Bankenkrise.

Der IPBES-Bericht wird wichtige wissenschaftliche Erkenntnisse über die Rolle der Biodiversität und der natürlichen Ressourcen bei der Förderung unserer Volkswirtschaften und Unternehmen liefern. Es ist an den politischen Entscheidungsträgern und Unternehmensführern, die Fakten ernst zu nehmen und konsequenter als bisher umzusteuern. Möglichkeit dazu besteht im Rahmen der Umsetzung des Pariser Klimaabkommens ebenso, wie bei der anstehenden Entwicklung einer neuen globalen Strategie zum Schutz und zur Wiederherstellung der Natur in den kommenden zehn Jahren.“


Staatengemeinschaft berät über globalen Bericht zum Zustand der Natur

BMU Pressemitteilung, 28.4.19

Am Montag, dem 29. April, beginnen in Paris die Beratungen des Weltbiodiversitätsrats zum ersten globalen Bericht zum Zustand der Natur seit 2005. Vertreter aus 132 Mitgliedstaaten nehmen an den Beratungen teil. Ziel ist es, bis zum 4. Mai einen weltweit akzeptierten gemeinsamen Sachstand zur Lage der Natur, den Problemen und möglichen Lösungen zu schaffen. Veröffentlicht werden soll der Bericht am 6. Mai.

Bundesumweltministerin Svenja Schulze: "Beim Klimaschutz waren die Berichte des Weltklimarats entscheidende Wegbereiter für das Pariser Klimaschutzabkommen und die weltweiten Anstrengungen, das Klima zu schützen. Das Artensterben ist eine ähnlich große globale Herausforderung wie der Klimawandel. Ich hoffe daher, dass der Weltgemeinschaft hier Ähnliches gelingt: Wenn wir uns auf einen gemeinsamen, wissenschaftlich fundierten Sachstand einigen können, kann uns das helfen, auch gemeinsam Lösungen zu entwickeln."

Drei Jahre lang haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus der ganzen Welt an den Grundlagen gearbeitet für die nun beginnenden Beratungen im Weltbiodiversitätsrat (englisch: Intergovernmental Science-Policy Platform on Biodiversity and Ecosystem Services/IPBES). Insgesamt haben sich etwa 450 Autorinnen und Autoren aus mehr als 50 Ländern zusammengeschlossen, um gemeinsam den weltweiten Wissensstand zu folgenden Fragen zu erarbeiten:
  • Wie haben sich die biologische Vielfalt und die Leistungen der Ökosysteme in den vergangenen 50 Jahren weltweit verändert?
  • Was sind die wichtigsten Ursachen für die festgestellten Veränderungen?
  • Wo stehen wir in Bezug auf die Erreichung wichtiger internationaler Verpflichtungen wie dem Übereinkommen über die biologische Vielfalt (CBD) und den Zielen für Nachhaltige Entwicklung (SGDs)?
  • Was zeigen die Prognosen bis 2050 zur Entwicklung der biologischen Vielfalt und der Leistungen der Ökosysteme?
  • Welche Maßnahmen können ergriffen werden, um den Verlust der biologischen Vielfalt und der Ökosystemleistungen zu stoppen?
Die sogenannte Zusammenfassung für Entscheidungsträger wird nun von den Mitgliedsstaaten beim 7. IPBES-Plenum vom 29. April bis 4. Mai 2019 in Paris diskutiert und verabschiedet. Vorgestellt werden soll der Text am 6. Mai ebenfalls in Paris. Parallel dazu tagen die G7-Umweltminister in Metz, Frankreich die sich dieses Jahr auch besonders mit dem Thema Artensterben und dem Erhalt der biologischen Vielfalt beschäftigen werden.

Der Weltbiodiversitätsrat IPBES ist ein zwischenstaatliches Gremium zur wissenschaftlichen Politikberatung für das Thema biologische Vielfalt und Ökosystemleistungen. IPBES ist vergleichbar mit seiner älteren Schwester IPCC für das Klima ("Weltklimarat"). Aktuell sind 132 Staaten (inkl. Deutschland) Mitglied im IPBES. Deutschland ist einer der größten Finanzgeber; das Sekretariat des Weltbiodiversitätsrats hat seinen Sitz in Bonn.

Prof. Dr. Josef Settele vom Leipziger Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) leitet seit 2016 als Ko-Vorsitzender die Erstellung des Globalen Sachstandsberichts, an dem insgesamt 40 deutsche Autorinnen und Autoren beteiligt sind.

Das Bundesumweltministerium (BMU) und das Bundesforschungsministerium (BMBF) unterstützen die Arbeit der Wissenschaftler und die Geschäftsstelle für die Erstellung des globalen Berichts mit Fördermitteln. Darüber hinaus haben beide Ministerien 2014 die deutsche IPBES-Koordinierungsstelle eingerichtet.


Zum Wegkrabbeln

Keine Ausreden mehr: Wissenschaftler haben weltweit den Zustand der Arten bewertet, die Fakten sind bekannt. Christoph Thies von Greenpeace erzählt, was das bedeutet.

Von Anja Franzenburg, Greenpeace-Online, 30.4.19

Meere, Wälder, Wiesen – sie sind naturgemäß Horte der Artenvielfalt. Wenn da nicht der Mensch wäre: Der macht Insekten, Fischen, Vögeln, Säugetieren und Co. das Leben schwer. Drei Jahre lang haben 150 Wissenschaftler aus 50 Ländern untersucht, wie es um die Artenvielfalt weltweit bestellt ist. Sie haben Studien ausgewertet, insgesamt 15.000 Quellen analysiert, Indigene befragt – und das gesammelte Wissen in einen Bericht gepackt. Über die Ergebnisse diskutieren sie seit gestern in Paris mit 100 Regierungsvertretern. Herauskommen soll ein Papier, auf dessen Basis die Politik handeln soll.

Für Christoph Thies von Greenpeace hat der Bericht die gleiche zukunftsweisende Bedeutung wie der des Weltklimarats (IPCC) im vergangenen Jahr. „Die Fakten liegen auf dem Tisch“, so Thies. „Die Politik kann sich nicht mehr mit dem Argument, die Datenlage sei nicht ausreichend, aus der Verantwortung stehlen.“ Immerhin haben sich 120 Staaten zum Weltbiodiversitätsrat (IPBES) zusammengeschlossen, der den Bericht beauftragt hatte.

Vorgestellt wird der zwischen Wissenschaft und Politik abgestimmte Text am 6. Mai – ein Blick in die Kristallkugel ist aber wohl kaum nötig, um jetzt schon zu wissen, dass es nicht rosig aussieht. Das, was bislang durchgesickert ist, bewertet Christoph Thies im Interview.

Greenpeace: Wie bewerten die Wissenschaftler die Situation? Steht uns wirklich ein großes Artenaussterben bevor?

Christoph Thies: In der Erdgeschichte sind immer wieder Tier- und Pflanzenarten ausgestorben – auch schon lange bevor es Menschen gab, etwa durch natürliche Klimaveränderungen. Durch den Einfluss des Menschen hat sich diese Rate allerdings um das 100- bis 1000-fache erhöht. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben anhand von Studien die Veränderungen von Tier- und Pflanzenarten in den vergangenen 50 Jahren bewertet: Die Vielfalt an Ökosystemen, Arten und deren genetische Vielfalt schwindet – in einer Geschwindigkeit, die beispiellos ist, seit es systematische Forschung dazu gibt. Rund eine Million Arten sind derzeit vom Aussterben bedroht.

Wenn man den geleakten vorläufigen Bericht liest, wird einem klar, dass wir nicht nur eine Klimakrise haben, sondern auch eine Biodiversitätskrise.

Wieso ist die Artenvielfalt so wichtig für das Überleben der Menschheit?

Mit geschätzten knapp zehn Millionen Arten geht die Wissenschaft davon aus, dass die meisten Tier- und Pflanzen-Arten noch gar nicht entdeckt sind – nimmt man Mikroorganismen dazu, sogar die allermeisten. Dementsprechend wenig überblicken wir die Funktionen und das Zusammenspiel von Arten. Dass Nützlinge wie Bienen für die Bestäubung von Nahrungspflanzen oder der Regenwurm für die Bodenqualität enorm wichtig sind, wissen wir, doch es gibt noch immer so vieles, was wir nicht wissen.

Welchen Schwund kann ein Ökosystem verkraften, ohne sich dramatisch zu verändern? Da kratzen wir wissenschaftlich gerade mal an der Oberfläche. Klar ist aber jetzt schon: Vielfalt sorgt für Stabilität. So haben im Dürresommer 2018 in Monokulturen angelegte Wälder, besser gesagt Nadelbaum-Äcker, gebrannt wie Zunder. Naturnahe, vielfältige Wälder hingegen konnten der Trockenheit wesentlich besser trotzen; diese brennen äußerst selten.

Ist also die falsche Nutzung der Flächen in Form von Monokulturen das Problem?

Die Landnutzung und somit Veränderung der Lebensräume trägt massiv zum Artensterben bei. So werden beispielsweise in Brasilien Regenwälder gerodet und in Deutschland artenreiche Wiesen umgebrochen, um Platz für den Anbau von Tierfutter zu schaffen. Statt Vielfalt ist dann reihenweise Soja oder bei uns Mais zu sehen. Die Landwirtschaft ist wesentlich für die Zerstörung von Naturräumen verantwortlich – und das zunehmend, da der Verbrauch von Fleisch, aber auch von Energiepflanzen oder Baumwolle für Textilien steigt; nicht nur durch eine wachsende Weltbevölkerung, sondern durch den steigenden Pro-Kopf-Verbrauch.

Der Bericht nennt aber noch zwei weitere Ursachen: den Klimawandel und die Übernutzung einzelner Arten. Bei letzterem fällt einem natürlich sofort die Fischerei ein, die die Bestände ganzer Populationen bedroht. Aber auch verschiedene Baumarten bringen so viel Profit, dass sie übernutzt sind.

Wie wirkt der Klimawandel auf die Artenvielfalt?

Der Klimawandel verändert die Niederschlagsmuster weltweit – das spüren wir ja auch in Deutschland. Regionen die heute bereits relativ trocken sind, werden mit zunehmendem Klimawandel noch trockener. In regenreichen Regionen hingegen werden die Niederschläge zunehmen. Genauso nehmen Wetterextreme zu: Dürren, Überflutungen, durchaus auch mal Kältewellen. Darauf und auch auf die insgesamt wärmer werdende Welt sind viele Tier- und insbesondere Pflanzenarten nicht vorbereitet.

Was rät die Wissenschaft?

Sie mahnt eindringlich, zu handeln. Denn wenn sich nichts ändert, werden sich diese Trends noch einmal dramatisch verstärken. Der Report rät zu einer großen gesellschaftlichen, politisch-wirtschaftlichen Transformation und zu drastischen Entscheidungen. Er nennt auch einzelne Maßnahmen wie den Abbau schädlicher Subventionen zugunsten einer ökologischeren Land- und Forstwirtschaft sowie Fischerei. Insgesamt bleibt der bisherige Bericht hier allerdings etwas zu vage. Es fehlen für die verschiedenen Sektoren klare Handlungsaufforderungen, aber auch Sanktionsmöglichkeiten, wenn nicht gehandelt wird.

Ökologischeres Wirtschaften, nachhaltiger Konsum, Erhalt von Wäldern – das erinnert stark an Maßnahmen, um den Klimawandel in den Griff zu bekommen. Gehen die Bekämpfung des Klimawandels und der Verlust der Artenvielfalt Hand in Hand?

Ja, genau. Wälder etwa binden in großem Stil klimaschädliches CO2, aber sie könnten in Zukunft noch viel mehr binden. Zudem sind sie ein Hort der Artenvielfalt. Weniger Fleischkonsum senkt den Ausstoß klimaschädlicher Gase massiv, gleichzeitig sind naturnahe Wiesen, auf denen kein Tierfutter wächst, Rückzugsort und Futterquelle für unzählige Arten.

Klima- und Naturschutz müssen verzahnt gedacht werden. Deshalb brauchen wir ein Abkommen für die Natur: Schutz des Klimas und der Artenvielfalt müssen dann ressortübergreifend auf höchster Ebene national gemeinsam umgesetzt und finanziert werden. Es darf keine Aufteilung unter den Ministerien geben, die sich dann gegenseitig die Verantwortung zuschieben, aneinander vorbeireden oder Maßnahmen blockieren.

Das Klima ist träge, CO2 bleibt lange in der Atmosphäre. Wie schnell können sich Arten erholen?

Das hängt von der Art ab: Wie groß ist die noch vorhandene Population, wie gesund ist sie, wie schnell reproduziert sie sich? Bei einigen Organismen geht es erstaunlich schnell. Die Natur, auch wenn der Mensch sie schon arg strapaziert hat, kann erstaunlich widerstandsfähig sein. Zu beobachten ist das, wenn landwirtschaftlich genutzte Flächen wieder sich selbst überlassen werden. Der Wald etwa kommt schnell zurück. Am Rand der Wüste oder in den Bergen an der Baumgrenze dauert es hingegen sehr lange, da die Bedingungen hier eh schon hart sind.

Vom Großen zum Kleinen, was kann jeder Einzelne tun?

Auch wir Verbraucherinnen und Verbraucher können Einfluss nehmen – durch unser Konsumverhalten. Wie auch beim Klimaschutz gilt es, generell den eigenen Konsum überdenken: Was brauche ich wirklich? Was kann ich gebraucht oder recycelt kaufen? Eine Lösung kann sein, weniger Lebensmittel wegzuschmeißen und weniger Fleisch zu essen. Wer einen Garten hat, kann insektenfreundliche, heimische Pflanzen, nutzen.




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